An unserer Türklingel stehen zwei Namen. Das hat damit zu tun, daß ich meiner Frau meinen Nachnamen ausserhalb von Ostwestfalen nicht zumuten konnte und wollte. Eine Familie, zwei Namen – Das ist auf den ersten Blick auch sehr modern und im gegenseitigen Verständnis ungeheuer emanzipiert. Allerdings: Sobald man Kinder hat, ist das mit den unterschiedlichen Nachnamen eine unfassbar blöde Idee. Aber das gehört nicht hierher.
Wie aber kam ich darauf?
Ach ja, zwei Namen an der Klingel. Diese führen dazu, daß wir seit Jahr und Tag jeweils zwei Exemplare aller Werbewurfsendungen bekommen. Ökologisch ist das natürlich eine Katastrophe und nicht zu rechtfertigen. Jeder Versuch, die Zusteller davon zu überzeugen, daß ein Exemplar des Mittwochsblättchens oder der “eingeschweißten Verbraucherinformation” völlig ausreicht, fruchteten nicht. Um unser Gewissen angesichts dieser ungeheueren Paperverschwendung zu beruhigen, haben wir es eine Zeit lang mit einem dieser roten “Bitte keine Werbung einwerfen” Aufkleber am Briefkasten probiert. In der Folgezeit erhielten wir ausser Rechnungen überhaupt keine Post mehr. Das war ungeheuer frustrierend und wir vereinsamten zusehends. Daher haben wir den Aufkleber wieder “abgeknibbelt” (das ist ostwestfälisch und bedeutet“mit den Fingernägeln entfernen”).
Ich will hier auch erst gar nicht im Detail davon berichten was passierte, als ich einen Zusteller ersuchte, meine Treuepunktekarte bei Drogeriekette A als Ausdruck meine Bevorzugung für derer Werbung gegenüber den Prospekten von Drogeriekette B zu werten – und ihn bat, meine eingeschweißten Verbraucherinformationen durch Austausch der entsprechenden Prospekte auf meine Präferenzen hin anzupassen. Kurz: Er hatte Angst vor mir und ich sah ihn nie wieder.
Wir mussten also schnell erkennen, daß unsere Versuche, die auf uns einstürzenden Werbung auch nur im Ansatz nach unseren persönlichen Bedürfnissen und unserer aktuellen Bedarfslage zu personalisieren, schon im Ansatz zum Scheitern verurteilt waren.
In der mobilen Online Marketing Welt sind unsere Möglichkeiten der aktiven Beeinflussung unseres “Werbeerlebnisses” auf den ersten Blick ähnlich eingeschränkt. Ein Pop-Up Blocker, der unerwünschte Werbeeinblendungen zumindest in Web-Browsern unterbindet, ist heute fast das einzige Steuerungswerkzeug. Gut, ich kann meine Informationswünsche in eMail Newslettern durch Tickboxen angeben oder Newsletter ganz abbestellen. Das ist es aber dann aber wirklich. Oder?
Die Anbieter die Macht zu haben. Technisch geht hier schon (fast) alles. Eine genaue Analyse meines “digitalen Fußabruckes” anhand meines Kauf- und Surfverhaltens, meiner Spuren in sozialen Netzwerken oder ganz allgemein mein soziologischer Hintergrund, erlauben es ihnen, sogenannte “Multi-Channel” Kampagnen auf meine reale oder “hochgerechnete” Bedarfslage hin konkret auf mich auszurichten.
Der dabei eingesetzte Medien-Mix verändert sich rasant. Banner-Ads, also statische Werbeeinblendungen, sowie stupides “Re-Targeting” (ein Banner-Advertising verfolgt mich wochenlang auf viele Webseiten) sind fast schon wieder out. Videos, dynamische Inhalte und Online-Chats sollten es schon sein. Sehr stark aufkommend sind auch “Second- oder “Multi-Screen Konzepte”, bei denen man beispielsweise mit einem PC, Tablet oder Smartphone, online auf mit einer Fernsehsendung synchronisierte “Zusatzinformationen” (=Werbung) zugreifen kann.
Hinter den Kulissen wächst dabei der Wettbewerb stetig. Als Beispiel genannt hier das “Real-Time-Bidding”. Dabei bieten Anbieter ähnlicher Produkte in Echtzeit um die Darstellung Ihrer Inhalte, sobald ein vielversprechender Interessent eine entsprechende Suchanfrage startet. Der Anbieter, der diesen Online-Auktions Prozess gewinnt (also am meisten zahlt…), erhält den Zuschlag, und der vermeintliche Interessent bekommt dessen Angebot präsentiert. Diese Prozesse passieren heute in Millisekunden, oder anders gesagt: Während des Ladens der Webseite!
Wer sich angesichts dieser vielfältigen Möglichkeiten der subtilen Manipulation als reiner Konsument betrachtet- und in seiner Würde mißachtet fühlt, hat sicher einen Punkt. Andererseits liegt es weiterhin nur an jedem selbst, durch Aktionen, Reaktionen, Bewertungen sowie letztendlich durch das eigene Konsumverhalten darüber zu entscheiden, welche Angebote und Taktiken der Anbieter erfolgreich sind.
Der einzelne Verbraucher hat also nach die vor die Macht, solange er bewusst handelt und entscheidet. Das wird sich nicht ändern. Wenn man es sich richtig überlegt, hat man in der mobilen Online Marketing Welt langfristig sogar wesentlich mehr Möglichkeiten zur Kontrolle über das eigene Werbeerlebnis als in der alten Welt der Briefkastenwerbung. Siehe oben.